Nachhaltigkeit bei Verbrauchsmaterial: (K)ein Widerspruch
Nachhaltigkeit in der Beschaffung ist zu einem grossen Thema geworden. Der erstmals stattfindende Sustainable Procurement Day am 20. Juni 2024 rückt die Auseinandersetzung mit den Risiken und den Chancen einer nachhaltigen Beschaffung in den Fokus.
Wie kann sich der Einkauf angesichts dieser Herausforderungen nachhaltig ausrichten? Eine Frage, die auch die Lyreco Gruppe beschäftigt. Sie ist mit 12000 Mitarbeitenden in 42 Ländern auf 4 Kontinenten aktiv. Die Lyreco Switzerland AG liefert täglich rund 7000 Kundenbestellungen aus. Das Unternehmen legt dabei grossen Wert auf Nachhaltigkeit und optimiert seine Logistik konstant mit dem Ziel, einen möglichst ökologischen Gesamtprozess zu schaffen, wie Tina Kempf, Head of Sustainability Management bei Lyreco Switzerland im folgenden Gespräch erläutert.
Frau Kempf, 7000 Bestellungsauslieferungen täglich sind eine ganze Menge. Was sind die beliebtesten resp. häufigsten Produktgruppen, die bestellt werden?
Tina Kempf: Zu den am häufigsten bestellten Dingen gehören eindeutig die Kaffeekapseln.
Nun gelten Kaffeekapseln aber nicht unbedingt als nachhaltig…
Da muss ich widersprechen. Gerade dieses Beispiel zeigt, dass Nachhaltigkeit nicht so trivial ist. Aber streng genommen ist jede Art von Verbrauchsmaterial per se nicht nachhaltig. Dessen sind wir als Händler auch bewusst. Deshalb ist es unsere Strategie, dass wir vor allem bei der Spedition auf Nachhaltigkeit setzen. Dazu trägt unter anderem der Einsatz von E-Vans und Cargo-Bikes bei der Auslieferung bei.
Nachhaltigkeit hat inzwischen auch die Beschaffung erfasst. Wie wirkt sich das beim Bestellverhalten Ihrer Kunden aus? Wird mehr auf nachhaltige Produkte gesetzt?
Wir stellen fest, dass nachhaltige Produkte für immer mehr Kunden wichtig sind. Nur: Wir hätten es eigentlich gerne schneller. Doch leider werden bei öffentlichen und privaten Grossorganisation die Nachhaltigkeit bei Ausschreibungen zu oft völlig ignoriert oder nur sehr tief gewichtet. Somit bleibt das Thema weiterhin auf der Strecke. Am Schluss entscheidet zu oft der Preis als einziges Kriterium. Als Händler sind wir in einer «Sandwich-Position»; wir können aber unsere Kunden unterstützen, indem wir weniger nachhaltige Produkte schrittweise auslaufen lassen. Zudem gehen wir auch proaktiv – besonders auf grosse, berichterstattungspflichtige – Unternehmen zu und beraten diese, wie sie ihre Beschaffung nachhaltiger gestalten können. Es hängt dabei ab, wo sie die Prioritäten setzen wollen: Weniger CO2-Emissionen oder Fair Trade. Unsere eigene Vision ist, so viel Stellschrauben für mehr Nachhaltigkeit zu finden wie nur möglich. Allerdings fehlen für viele Produkte noch Daten zu deren CO2-Fussabdruck.
Und wie nachhaltig gestalten Sie Ihr eigenes Beschaffungswesen? Welche Kriterien müssen Ihre Zulieferer erfüllen?
Wir prüfen alle unsere Lieferanten auf Nachhaltigkeit. Entweder können sie schon selbst ein Zertifikat wie z.B. von EcoVadis oder B Corp vorweisen, oder sie müssen ein Self-Assessment durchführen, indem sie unseren ESG-Fragekatalog beantworten. Erst, wenn dies erfüllt ist, schauen wir ihre Produkte an. Alle neuen Produkte, die wir ins Sortiment aufnehmen, müssen zwingend von uns als auf ihre Nachhaltigkeit hin überprüft sein. Wir arbeiten zudem nach der Science Based Targets Initiative (SBTi) und haben uns dort Scope 3 (Emissionen, die durch die Lieferketten von Unternehmen und andere Aktivitäten verursacht werden, die nicht unter der direkten Kontrolle des Unternehmens stehen, Anm. d. Red.) zum Ziel gesetzt. Wir sind nun dabei, zu unseren Produkten die notwendigen Daten zu beschaffen. Noch führen wir einige Produkte, die unsere Nachhaltigkeitskriterien nicht erfüllen, per 2026 möchten wir aber unser Sortiment bereinigt haben.
Welche Rolle spielen auch neue gesetzliche Regulierungen, wie etwa das deutsche Lieferketten-Sorgfaltspflichtgesetz?
Von diesem Gesetz sind wir kaum betroffen, weil wir ein Händler und kein Hersteller sind. Zudem befindet sich der Gruppen-Hauptsitz in Frankreich, wo wiederum andere Regulierungen gelten. Insgesamt verfügen wir aber über eine geballte Ladung an Ressourcen, um die Umsetzung von Regulierungen umzusetzen. Wir setzen dabei auch solche um, die für die Schweiz eigentlich keine Gültigkeit haben wie z.B. das Verbot von Single Use Plastic. Wir verzichten also freiwillig auf Einwegplastik und nehmen Hersteller aus dem Sortiment, die dies nicht tun. Festzuhalten bleibt aber, dass die Herstellung von Transparenz in Lieferketten nach wie vor ein Hauptproblem ist.
Und um diese Thematik geht es auch am Sustainable Procurement Day. Ihr Unternehmen ist ein Partner dieses Anlasses. Was hat Sie zu dieser Partnerschaft bewogen?
Wir können diese Tagung nutzen, um ein paar schöne Praxis-Cases aufzuzeigen, gerade weil wir sowohl Einkäufer als auch Verkäufer sind. Hierzu können wir gerne unsere Erfahrungen teilen.
Und welche Empfehlungen können Sie Unternehmen weitergeben, die bei einer nachhaltigen Gestaltung ihres Einkaufs erst am Anfang stehen?
Das Thema gilt es grundsätzlich strategisch anzupacken. Zunächst muss es um die Frage gehen: Wo können und wollen wir nachhaltig sein? Das muss beim Kerngeschäft beginnen, danach kann man ableiten, wie man den Einkauf nachhaltiger gestalten kann. Die Kreislaufwirtschaft ist als Mass aller Dinge zu betrachten, und dies muss man auch bei den Zulieferern einfordern.
Das ist wahrscheinlich einfacher gesagt als getan. Wo liegen denn die grössten Stolpersteine?
Das sind die menschlichen Gewohnheiten! Fast alle Einkäufer haben ihre «Lieblings-Lieferanten». Wenn ein solcher nun nicht mehr ins Nachhaltigkeitskonzept des Unternehmens passt: Wie teile ich ihm das mit? Das ist schwierig. Wir haben deshalb im Januar 2024 erstmals die Konferenz «Lyreco Unboxed» durchgeführt. Wir haben Schweizer KMU und andere Wirtschaftsvertreter eingeladen, offen und ehrlich – eben «ausgepackt» – darüber zu berichten, wie schwer es ist, Lieferketten nachhaltiger zu gestalten und einzugestehen, dass man anfänglich damit auch scheitern kann. Wichtig ist einfach, dass Lieferanten und Einkäufer transparent kommunizieren.
Transparente Kommunikation: Das ist auch Ihre Kernbotschaft, die Sie am Sustainable Procurement Day vermitteln möchten?
Ja, unbedingt. Wir wollen den Kunden nichts als nachhaltig verkaufen, was es gar nicht ist. Inwiefern soll ein teurer, aus Biopolymeren hergestellter Kugelschreiber, der 5000 m weit schreibt, aber nur einmal verwendet wird, nachhaltiger sein als ein Billigmodell mit einer Reichweite von 500 m? Genau um solche Fragen muss es eben auch gehen.
Sustainable Procurement Day: Erste Schweizer Wirtschaftstagung für die nachhaltige Beschaffung
Pandemien, Ressourcenverknappung, strengere Klima- und Biodiversitätsgesetze, wachsende soziale Ungleichheit sowie neue Technologien sind nur einige Beispiele, die Unternehmen und ihre Beschaffung stärker beschäftigen werden und auf die es sich vorzubereiten gilt. Wie kann sich Procurement angesichts dieser Herausforderungen nachhaltig ausrichten? Genau das soll am Sustainable Procurement Day mit Einkäuferinnen und Einkäufern verschiedenster Branchen diskutiert werden. Mit dem Sustainable Procurement Day haben Pusch, öbu und procure.ch eine neue Veranstaltung ins Leben gerufen, die die Auseinandersetzung mit den Risiken und den Chancen einer nachhaltigen Beschaffung in den Fokus rückt.