Beschaffung im Zeichen von OR, CSRD und CSDDD

Am 20. Juni 2024 fand in Zürich die erste Schweizer Wirtschaftstagung für nachhaltige Beschaffung statt. Die rund 150 Teilnehmenden konnten u.a. mitnehmen, dass partnerschaftliche Kollaboration zwischen Zulieferer und Herstellern zentral ist und im Einkauf noch viel Nachhaltigkeitswissen aufgebaut werden muss.

Wie wird nachhaltige Beschaffung in Zukunft aussehen? Mirko Kleiner (LAP Alliance, links) im Gespräch mit Felix Meier (Pusch, Mitte) und Olmar Albers (öbu, rechts). Foto: Thomas Berner.

Wie partnerschaftliche Kollaboration funktioniert, dafür war gleich die Tagung selbst ein Beispiel: Die drei Organisationen öbu Verband für nachhaltiges Wirtschaften, Pusch – Praktischer Umweltschutz und der Einkaufs-Fachverband procure.ch haben den Anlass gemeinsam ins Leben gerufen. Das Thema «Nachhaltige Beschaffung» erwies sich als zugkräftig: Rund 150 Teilnehmende aus unterschiedlichsten Branchen haben sich angemeldet. Fünf Keynotes und sieben Breakout-Sessions boten Gelegenheit für intensiven Informationsaustausch.

OR, CSRD, CSDDD: Abkürzungen mit noch viel Informationsbedarf

Wie drängend die Wichtigkeit einer nachhaltigeren Wirtschaft ist, erklärte als erste Referentin Elgin Brunner von WWF Schweiz. Es gelte sowohl eine Klima- als auch eine Diversitätskrise zu bewältigen. Von den von der Weltgemeinschaft gesteckten Zielen seien wir noch weit entfernt, erläuterte sie. Eine tiefgreifende Transformation der Wirtschaft sei notwendig, einzelne «Pflaster» hälfen heute nicht mehr weiter. Gerade in nachhaltigeren Lieferketten verbunden mit einem Wandel bestehender Wertschöpfungsketten sieht Elgin Brunner den grössten Hebel. Die Wirtschaft müsse also mehr Verantwortung übernehmen. Dass und wie dies funktioniert, zeigte sie an Beispielen aus der Schokolade-Industrie (Halba aus der Schweiz und Chocolonely aus Holland).

Derweil bleibt die Politik nicht untätig. Gerade in der EU werden eine ganze Reihe an neuen Regularien auf den Weg gebracht. Abkürzungen wie CSRD oder CSDDD dürften in naher Zukunft auch in immer mehr Schweizer Unternehmen geläufig werden, wie Niclas Meyer vom Beratungsunternehmen BSS erklärte. Die bereits im November 2022 vom EU-Parlament verabschiedete Corporate Sustainability Reporting Directive CSRD verpflichtet Unternehmen, die Wirkung von Nachhaltigkeitsaspekten auf die wirtschaftliche Lage des Unternehmens festzuhalten sowie die Auswirkungen des Betriebs auf Nachhaltigkeit zu verdeutlichen. Zur Zeit wird CSRD in den EU-Staaten in nationales Recht überführt. Auch der Bundesrat wird demnächst einen Gesetzesvorschlag in die Vernehmlassung schicken, der etliche Punkte der EU-Regelung aufnimmt. Schon jetzt besteht im Schweizerischen Obligationenrecht OR eine Bestimmung über Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit (OR Art 964j). Bei CSDDD wiederum handelt es sich um die EU-Lieferkettenrichtlinie. Diese verpflichtet Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten entlang ihrer Lieferketten und die Minimierung von Umweltauswirkungen. Auch Schweizer Firmen sind wegen der Drittstaatenregelung davon betroffen – und gemäss Niclas Meyer sind das mehr, als man gemeinhin annimmt. Aufgrund der Komplexität dieser Regulierungen müssen Unternehmen entsprechende Ressourcen bereitstellen. «Dies einfach an eine Person als Assistenz der Geschäftsleitung zu delegieren, reicht da nicht», so Niclas Meyer.

Für die Beurteilung der Lieferketten und das Reporting ist umfangreiches Datenmaterial notwendig. Dieses muss entsprechend aus verschiedenen Quellen gesammelt, zusammengestellt und beurteilt werden. Das geschieht häufig noch Excel-basiert, was inskünftig nicht mehr ausreichen dürfte. Dies hat auch die Swisscom erkannt. Marion Roeder und Gina Obrecht erläuterten dem Publikum das Vorgehen dieses Kommunikationsunternehmens für dessen Nachhaltigkeitsreporting. Daraus erwachsen ist auch der sog. Sustainability Software Radar: Dieser zeigt Marktentwicklungen und Trends bei Software-Lösungen auf, die ESG-Manager und CIOs unterstützen können. Die von Swisscom geschaffene Dienstleistung bietet Unternehmen also eine Hilfe bei der Wahl des geeigneten Software-Werkzeugs für die Erfassung von Nachhaltigkeits-Daten.

Praktische Erfahrungen austauschen

In verschiedenen Workshops bzw. Breakout-Sessions konnten die Teilnehmenden dann anschliessend einzelne Themen vertiefen und auch Praxiserfahrungen austauschen. So vermittelten Lena Gubser und Roland Bärtschi einen Einblick, wie das Bahnunternehmen BLS mit dem Spannungsfeld zwischen Strategie und Umsetzbarkeit umgeht. Oder Renato Vögeli erläuterte, wie sein Druckunternehmen in Kollaboration mit zwei weiteren Druckereien in Österreich und Dänemark das Konzept «Cradle to Cradle» umsetzt und auch die entsprechende Zertifizierung erlangte. Und Tina Kempf (Lyreco Schweiz) zeigte zusammen mit Ruth Freiermuth Kuchel und Nicole Moser von der Schweizerischen Post, wie man entlang der Lieferketten den Ausstoss von Treibhausgasen senken kann (siehe auch das Interview mit Tina Kempf). Ebenfalls ein Praxisbeispiel für Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz präsentierte die Brauerei Locher aus Appenzell, welche von Verkaufsleiter Philip Herrmann vertreten wurde. Sie hat u.a. Wege gefunden, wie aus Brauerei-Nebenprodukten neue, schmackhafte Nahrungsmittel entstehen können. Weitere Breakout-Sessions befassten sich mit Sorgfaltspflichten und Compliance, mit Digitalisierung oder mit sozialen Beschaffungsrisiken, gezeigt anhand der Vermeidung von Kinderarbeit.

Beschaffung in Realität und Zukunft

Den letzten Referateblock bestritt zunächst Mirko Kleiner. Er warf einen Blick in die Zukunft des Beschaffungsmanagements, die im Zeichen von «Lean Agile Procurement» stehen könnte. Er zeigte verschiedene «Evolutionsstufen» von künftigen Beschaffungsmanagement, ausgehend von der in einer klassischen Siloorganisation angelegten Einkaufsabteilung bis hin zu maximal selbstorganisierten Unternehmenseinheiten, welche ihre gesamten Liefer- und Wertschöpfungsketten – teilweise massiv software-unterstützt – autonom und innerhalb eines Ökosystems betreiben. Mit einer «Keimzelle» dieses Lean Agile Procurements schaffte es z.B. das Unternehmen Swiss Casinos AG, innerhalb von nur zwei Tagen ein neues ERP-System zu evaluieren und zu beschaffen.

Noch etwas bodenständiger vollzieht der Kaffeeautomaten-Hersteller Thermoplan AG sein nachhaltiges Beschaffungsmanagement. Kern bildet der Fokus auf möglichst viele Schweizer Zulieferer, wie Björn Jung und Matteo Trachsel erläuterten. Aktuell beträgt deren Anteil 63 Prozent – bei ca. 300 Lieferanten. Vier Schlüssel stehen hinter dem Lieferantenmanagement von Thermoplan: Klare Zielvorstellungen, transparente Kommunikation mit den Zulieferern, das Einschlagen eines gemeinsamen Wegs und auch daraus resultierende Vorzeige-Unternehmen, um Benchmarks für andere Zulieferer zu setzen.

Wissen über nachhaltige Beschaffung aufbauen

Fazit der Veranstaltung: Um beim Thema der nachhaltigen Beschaffung voranzukommen, braucht es Kollaboration und gemeinsames Lernen voneinander. Ein weiteres Takeaway: Daten sollten nicht nur für Reportings gesammelt werden. Denn das Potenzial von strukturiertem Datenmanagement ist enorm und unabdingbar für Transparenz, Innovation und Effizienz. Und: Gefordert ist auch das Top-Management, denn Nachhaltigkeit ist inzwischen eine strategische Aufgabe. Darin eingebettet werden muss auch das gesamte Beschaffungswesen – und deshalb ist ein innerbetrieblicher Wissensaufbau notwendig. Denn im Gespräch mit und aus den Voten von vielen Teilnehmenden war zu erfahren, dass viele Unternehmen bei der nachhaltigen Beschaffung erst am Anfang stehen. Von da her gesehen darf damit gerechnet werden, dass dieser Sustainable Procurement Day noch nicht der letzte gewesen ist.

Weitere Informationen: Sustainable Procurement Day

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