Heike Wenzel: «Um die wenigen kämpft man mehr»
Die Wenzel Group ist ein deutsches Familienunternehmen, das sich auf die Entwicklung und Produktion von Messgeräten für die Industrieproduktion spezialisiert hat. Als eines der ersten Industrieunternehmen führte sie in der Produktion am Hauptsitz die 4-Tage-Woche ein.

Die Technologisierung der Arbeitswelt verändert herkömmliche Arbeitszeitmodelle. Produktionsunternehmen winken beim Thema «Smart Work» oder «New Work» aber häufig immer noch ab: «Alles ganz anders bei uns», heisst es da oder einfach auch: «Geht nicht.» Das Gegenteil beweist die deutsche Wenzel Group, die mit Wenzel Metromec AG auch eine Tochterfirma in der Schweiz besitzt: Sie hat bereits vor anderthalb Jahren in der Produktion die 4-Tage-Woche eingeführt – mit Erfolg. Wir sprachen darüber mit CEO und Inhaberin Heike Wenzel.
Frau Wenzel, Ihre Unternehmensgruppe bewegt sich in einem fachspezifisch sehr speziellen Bereich und benötigt eine sehr ausgesuchte Art von Fachkräften. Wie stark ist Ihr Unternehmen vom Fachkräftemangel betroffen?
Heike Wenzel: Fachkräftemangel trifft jeden, und uns natürlich auch. Der demografische Wandel führt dazu, dass es einfach weniger Arbeitskräfte gibt und auch weniger Personen, die spezifisch in die technologische Entwicklung eingebunden wurden. Manche Bereiche sind schwer zu besetzen. Hinzu kommt, dass wir zwar mitten in Deutschland sind, also eigentlich an einem attraktiven Standort, quasi mitten im Wald, und seit Corona ist es ja wieder attraktiver, aus den Städten rauszugehen …
… das kennt man auch in der Schweiz, wo es ebenfalls in ländlichen Regionen viele «hidden champions» gibt, die trotz Fachkräftemangel einfach aufgrund ihres attraktiven Standorts anziehend wirken …
… ja, man lebt ganz nett in der Natur. Aber letztendlich sind wir ein kleines Mittelschichtsunternehmen und haben nicht weit von uns die Grosskonzerne, die halt Fachkräfte über die Gehaltsentwicklung anziehen. Da können wir nicht im selben Masse mithalten.
Von vielen mittelständischen Unternehmen hört man allerdings, dass viele Fachkräfte, die in Grosskonzernen begonnen haben, von dort wieder weggehen, um bewusst in einem KMU zu arbeiten, weil sie dort eben mehr Möglichkeiten sehen, sich zu entwickeln. Ist das bei Ihnen ähnlich?
Ich sehe durchaus den Trend oder den Vorteil, in einem mittelständischen Unternehmen zu arbeiten. Man kann mehr Verantwortung übernehmen und ist nicht ein kleines Rädchen in einem grossen Getriebe. Es herrscht normalerweise eine andere Atmosphäre, und das ist auch das, was uns immer in der Vergangenheit schon ausgemacht hat und eigentlich dafür gesorgt hat, dass wir keinen Fachkräftemangel haben. Aber inzwischen hat sich die Welt dahingehend geändert, dass das Angebot an Arbeitskräften kleiner geworden ist; um diese wenigen kämpft man mehr. Und da mussten auch wir uns überlegen, was wir als Anreiz bieten können. Nur Geld kann es nicht sein. Im Gespräch mit Mitarbeitenden habe ich festgestellt, dass das Thema Freizeit immer wichtiger wird. Gerade nach Corona haben die Leute festgestellt: Mensch, das Leben ist doch bedeutend, geniessen wir es doch! Wir haben uns also überlegt: Was könnten wir den Mitarbeitenden diesbezüglich bieten? Was macht uns attraktiver und wirkt motivierend? Geld ist es nicht, das spielt nicht mehr so eine grosse Rolle. So kamen wir vor eineinhalb Jahren eben darauf, die 4-Tage-Woche einzuführen.
Mit welcher Wirkung?
Dass die Mitarbeitenden motivierter sind, liess sich bald feststellen. Es wurde also sehr positiv angenommen. Die Mitarbeitenden gewinnen einen Tag, den sie wie auch immer gestalten können. Die einen widmen ihn der Familie oder treiben mehr Sport, andere wiederum übernehmen in der zusätzlichen Freizeit soziale Aufgaben. Man hat nun einfach diese Flexibilität, die die neue Generation sucht. Wir als Arbeitgeber verlieren eigentlich nichts, weil durch das Mehr an Motivation habe ich das Gefühl, dass wir an den vier Tagen die gleiche Leistung erbringen wie früher an fünf. Wir haben es geschafft, eine Balance zu finden, wovon beide Seiten am Ende profitieren.
Trotzdem muss das Unternehmen ja so organisiert sein, dass es an fünf Wochentagen operativ ist. Gibt es da nie Probleme mit Absprachen?
Ich muss sagen: Es läuft erstaunlich gut. Die 4-Tage-Woche haben wir vor allem in der Produktion eingeführt. Grundsätzlich haben wir es den Mitarbeitenden aber freigestellt, und nicht alle wollten nur vier Tage arbeiten. In der Produktion ist ein Arbeitstag weniger kein Problem, weil man an den vier Tagen das erreicht – also die gleiche Produktivität, gleiche Leistung – wie zuvor in fünf Tagen. Die Produktion muss auch nicht jeden Tag erreichbar sein wie andere Bereiche, wo jeden Tag jemand verfügbar sein muss, weil wir ein internationales Unternehmen sind. Um die Erreichbarkeit sicherzustellen, stimmen sich die Mitarbeitenden in den einzelnen Abteilungen gemeinsam ab und arbeiten versetzt, z.B. von Montag bis Donnerstag oder von Dienstag bis Freitag. Die Teams organisieren sich selbst. Inzwischen kommen immer mehr Bereiche, auch die Verwaltung, dazu und wollen ebenfalls nur noch vier Tage arbeiten. Auch jene, die anfangs gar nicht mitmachen wollten, merken, dass die 4-Tage-Woche eine tolle Sache ist.
Gilt die 4-Tage-Woche im gesamten Konzern oder nur am Standort in Deutschland?
Bisher nur am Hauptstandort, nicht über den ganzen Konzern. Das wäre auch schwierig, weil wir auch Standorte in China haben, wo normalerweise sechs Tage die Woche gearbeitet wird. Dort herrscht auch eine ganz andere Einstellung und ein ganz anderes Produktivitätsniveau. In der Niederlassung in der Schweiz wiederum wird viel im Homeoffice gearbeitet. Das hatten wir teilweise dort schon früher. In der Schweiz merken wir zudem einen Trend zu mehr Teilzeit. Man muss auch sagen, dass unsere Niederlassung in der Schweiz ein Softwareentwicklungshaus ist mit anderen Voraussetzungen als ein Produktionsbetrieb.
Diese Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz: Bestehen da auch Unterschiede betreffend Fachkräftemangel? Fachleute für die Softwareentwicklung sind in der Schweiz ein rares Gut.
Wir merken schon deutliche Unterschiede je nach Standort. Wir haben eine Niederlassung in Hilpoltstein nahe Ingolstadt, wo auch Audi beheimatet ist. Als kleiner Arbeitgeber ist es dort enorm schwierig, Mitarbeitende zu gewinnen für einzelne Bereiche. Bei unserem Hauptsitz in der Region Spessart geht es besser, weil man viele kleine Ortschaften in der Umgebung hat. Als nahe gelegener Arbeitgeber ist man dort sowieso attraktiv. In der Schweiz ist Softwareentwicklung ein ganz schwieriger Bereich – aber das wäre er anderswo auch.
Wie suchen Sie die Fachkräfte, die Sie benötigen? Haben Sie da ein spezielles Recruiting-Verfahren?
Wir machen sehr viel online, d.h., wir stellen Inserate auf unsere Homepage, nutzen aber auch Tools wie LinkedIn und sonstige Recruiting-Plattformen. Die Einführung der 4-Tage-Woche – das war gar nicht unsere Intention – hat riesige Wellen geschlagen. Es ist nun bereits eineinhalb Jahre her, aber immer noch aktuell, weil wir immer noch eine der wenigen Unternehmungen sind, die das tun. Das hat die Arbeitgebermarke deutlich gestärkt, und wir kriegen dadurch wirklich viele Anfragen: Bei euch muss man nur vier Tage arbeiten? Das will ich auch! Unsere Bewerberzahl hat sich verdreifacht, seitdem wir die 4-Tage-Woche eingeführt haben. Also von daher ist es fast ein Selbstläufer geworden.
Alle glauben, studieren zu müssen und einen anderen Weg einzuschlagen. (Heike Wenzel, geschäftsführende Gesellschafterin der Wenzel Group aus Deutschland.)
Der demografische Wandel, den wir anfangs angesprochen haben: Wie beeinflusst dieser Ihre strategische Personalplanung?
Man muss natürlich umdenken. Wir haben früher sehr viele junge Menschen selbst in die Ausbildung gebracht – nicht nur, um günstige Arbeitskräfte zu haben, sondern um sie als spätere Fachkräfte für eine langfristige Zusammenarbeit zu gewinnen und zu halten. Das wird zusehends schwieriger. Es gibt nicht mehr so viele junge Menschen und auch nicht mehr so viele, die wirklich eine klassische Berufsausbildung machen wollen. Alle glauben, studieren zu müssen und einen anderen Weg einzuschlagen.
Hier besteht womöglich noch ein kleiner Unterschied zwischen den Verhältnissen in Deutschland und jenen in der Schweiz. Hier geniesst die Berufslehre nach wie vor einen sehr hohen Stellenwert, auch wenn auch hier eine zunehmende Akademisierung zu beobachten ist.
Das stellen auch wir fest. Ich finde nach wie vor: Für das wirtschaftliche Rückgrat von Deutschland ist gerade diese klassische Berufsbildung sehr wichtig. Aber der Trend geht stark in die Akademisierung, weil die Eltern glauben, die Kinder müssen was «Besseres» machen. Aber es ist ja nicht unbedingt besser. Ich bin selbst Präsidentin bei der Industrie- und Handelskammer und versuche da auch, entsprechend dagegenzuhalten.
Die Arbeitgeber müssen ihre Aktivitäten massiv erhöhen – das ist auch in der Schweiz so.
Das finde ich wichtig. Wir versuchen alles, um unsere Mitarbeitenden zu halten. Darin sind wir eigentlich erfolgreich. Doch zunehmend müssen wir auch Ausländerinnen und Ausländer integrieren, weil es in Deutschland immer weniger Arbeitskräfte gibt. Da ist auch die Politik gefordert, etwa bei Erleichterungen im Einwanderungsgesetz. Denn in anderen Ländern gibt es durchaus Fachkräfte, die nach Deutschland wollen, und denen muss man es erleichtern, sich zu integrieren. Auch wir haben zunehmend internationale Arbeitskräfte – als international tätiges Unternehmen haben wir da einen Vorteil. So können wir auch an anderen Standorten Mitarbeitende rekrutieren, die wir dann nach Deutschland holen. Aber das ist noch sehr, sehr schwierig, was die Einwanderung und die Gesetze angeht.
Dieses Thema gäbe wohl Stoff für ein separates Interview her. Doch sprechen wir noch etwas über die junge Generation. Diese trifft bei Ihnen auf ein alteingesessenes Unternehmen, das vielleicht noch etwas konservativ unterwegs ist. Inwiefern treffen da zwei Kulturen aufeinander, die auch für Generationenkonflikte sorgen können?
Unser Motto lautet schon seit Längerem «Innovation mit Tradition». Wir versuchen, beides zu kombinieren. Natürlich sind wir ein sehr traditionelles Unternehmen. Mein Vater hat das Unternehmen vor fast 55 Jahren gegründet. Damals war vieles noch ganz anders. Doch wir haben alle Umstellungen eigentlich ganz gut hinbekommen. Wir sind inzwischen sehr digital unterwegs, haben digitalisierte Arbeitsplätze und versuchen, wie gesagt, auch über moderne Arbeitsmodelle wie die 4-Tage-Woche attraktiv zu sein.
Hinzu kommt wohl auch ein hoher Grad an Automation in der Produktion?
Ja. Wir haben schon sehr früh auf diese Themen gesetzt, um einfach auch für unsere Kunden attraktiv zu sein. Denn wir unterstützen ja die digitalen Prozesse auch bei ihnen. Da versuchen wir, sehr modern und auf dem neuesten Stand zu sein. Und früher – da bin ich ehrlich – war für mich Homeoffice nicht unbedingt das Mittel der Wahl. Aber inzwischen ist es Standard geworden. Als Unternehmen muss man da einfach flexibler werden, auch beim Thema Elternzeit. Das sind Dinge, an die man sich gewöhnen und als Unternehmen mitgehen muss. Man muss sich verändern, damit man den Anschluss nicht verliert.
Wie machen Sie das als Chefin des Unternehmens? Wie nah sind Sie an den Mitarbeitenden dran?
So nah wie möglich. Aber dies wird natürlich schwieriger mit zunehmender Grösse. Wir haben inzwischen 550 Mitarbeiter weltweit. Da ist es nicht mehr so wie bei meinem Vater, der jeden Einzelnen kannte. Aber ich versuche, nah bei den Mitarbeitern zu bleiben, bin regelmässig auch in der Produktion – mindestens einmal die Woche –, um da den persönlichen Kontakt zu halten, denn das macht genau den Unterschied. Ich gehe auch persönlich zu den Kunden, weil mein Name auf jeder Maschine steht; das ist mir schon wichtig. Auch die aussenstehenden Niederlassungen besuche ich persönlich regelmässig, um den Kontakt mit jedem einzelnen Mitarbeiter so gut es geht zu halten, damit sie auch verstehen, bei wem sie arbeiten. Denn hinter einem Unternehmen stehen auch Gesichter einer Familie. Das ist das, was uns ausmacht und was wir vorleben wollen.
Zur Person
Dr. Heike Wenzel ist geschäftsführende Gesellschafterin der Wenzel Group GmbH & Co. KG. Die Gruppe ist einer der führenden Anbieter in der Koordinatenmesstechnik und mit mehr als 500 Mitarbeiterinnen weltweit an 15 Standorten direkt präsent. Dr. Heike Wenzel studierte Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik an der Universität Würzburg und ist innerhalb der Geschäftsführung u.a. für die Unternehmensstrategie zuständig. Daneben vertritt sie als Präsidentin der IHK Aschaffenburg die Interessen der Unternehmen aus der Region und legt hierbei ihre Schwerpunkte u.a. auf die Ausbildung und die Auswirkungen der digitalen Transformation.