Ausnahmezustand im Schweizer Aussenhandel

Ukraine-Krieg, steigende Rohstoffpreise und mögliche Energieengpässe – der Aussenhandel der Schweizer Handelsbranchen ist zu 77 bis 93 Prozent von diesen parallelen Krisen betroffen. Trotzdem konnten in den vergangenen Monaten die Hälfte der Handelsbranchen den Umsatz im Aussenhandel steigern.

Der Schweizer Aussenhandel befindet sich quasi in einem dauernden Ausnahmezustand. Doch viele Handelsunternehmen sind dank Agilität erfolgreich unterwegs. (Symbolbild; Pixabay.com)

Schweizer Händler sind im Krisensog: So in etwa lassen sich die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage des Dachverbands Handel Schweiz unter seinen 33 Mitgliedsverbänden zusammenfassen. In der Tat stehe der weltweite Handel auf dem Prüfstand, heisst es dazu in einer Mitteilung des Verbands: Ukraine-Krieg, Covid-Strategie der Chinesen, Sanktionen im russischen Wirtschaftsraum, die Bestrebungen der USA, die technologische Abhängigkeit von China zu reduzieren, die geplante weitere Digitalisierung der chinesischen Wirtschaft und Gesellschaft sowie der Aufbau neuer Energie-Infrastrukturen in Europa – all diese Entwicklungen würden parallel die Transformation des globalen Handels vorantreiben. Rudolf O. Schmid, seit Juni 2022 Präsident von Handel Schweiz, betonte am Mediengespräch des Dachverbands des Schweizer Handels: «Die Schweiz und ihre Händler sind aufgefordert, sich in den veränderten Handelsstrukturen zu bewegen und anzupassen. Als kleines Land profitiert die Schweiz vom grossen Vorteil, den Abschottungen nur teilweise zu unterliegen.» Das zeigen auch die aktuellen Zahlen. Für das dritte Quartal 2022 stiegen die Exporte insgesamt um 1,3 Prozent. So wurden 4,9 Prozent mehr Uhren exportiert. Während im Export nach Europa ein Minus von 4,4 Prozent verzeichnet wurde, stieg jener nach China um 19,3 Prozent. Auch die Prognosen lassen die Schweizer Händler hoffen. Die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich erwartet für das Jahr 2022 eine Steigerung des BIP um 2,3 Prozent sowie eine sinkende Inflation ab Mitte 2023; diese sollte bis zum Jahresende 2023 nur noch bei 2 Prozent liegen. Kaspar Engeli, Direktor von Handel Schweiz, erklärte die trotz «Ausnahmezustand» relativ stabile Lage im Schweizer Aussenhandel: «Der Krisenmodus ist für viele im globalen Handel tätigen Firmen bis zu einem gewissen Grad der Normalfall.»

Umfrage unter 33 Mitgliederverbänden im Handel

Die Umfrageergebnisse zeigen, dass in den vergangenen Monaten die Hälfte der Handelsbranchen den Umsatz im Aussenhandel um bis zu 50 Prozent erhöhen konnte. Knapp ein Drittel beklagt einen Einbruch von bis zu 20 Prozent. Die durch den Ukraine-Krieg, steigende Rohstoffpreise und mögliche Energieengpässe ausgelösten Krisen wirkten sich unterschiedlich stark auf den Aussenhandel aus. 93 Prozent der Handelsbranchen waren mit den Auswirkungen der höheren Rohstoffpreise konfrontiert. Der Ukraine-Krieg und die zukünftigen Energieengpässe verändern den Aussenhandel jeweils in 77 Prozent der Firmen. Knapp ein Drittel der Händler spart bereits Energie ein oder baut alternative Energielösungen auf. Die drei Krisenbereiche führen vor allem zu Mehraufwand in den Handelsfirmen und zu Problemen auf den Lieferketten. Dem wirken die Händler nach wie vor mit grösseren Lagern entgegen, was den Liquiditätsbedarf in der ohnehin kapitalintensiven Handelsbranche weiter erhöht.

Trotz Ausnahmezustand im weltweiten Handel sind Schweizer Handelsunternehmen recht gut unterwegs. (Grafik: Handel Schweiz)
Als weitere Herausforderung kommt die Energieknappheit hinzu. (Grafik: Handel Schweiz)

Mehrere Rollen im weltweiten Handel

Der dauernde Ausnahmezustand zwingt Händler zu Agilität. Dies weiss auch Hans Christian von der Crone. Der Inhaber und CEO der 10-köpfigen Nimex AG in Adliswil ist ein Vollbluthändler mit globalem Netzwerk. Er erklärt die Robustheit des krisenerprobten Schweizer Handels auch mit den eingespielten Strukturen: «Im Handel sind sehr viele inhabergeführte Familienunternehmen unterwegs. Sie geben die Erfahrungen von Generation zu Generation weiter. Langjährige Kontakte zu Handelspartnern in aller Welt sind ein zweiter Erfolgsfaktor, der auch in unsicheren Zeiten zu mehr Resilienz verhilft. Nimex tauscht sich ständig global aus. So finden wir neue Produkte und landen immer wieder echte Verkaufshits. Was gleich bleibt, ist eine gewisse Vorsicht. Schweizer Händler können im Ausland nicht mit Grösse trumpfen. Aber wir sind bekannt dafür, dass wir uns in die Mentalität des anderen hineinfühlen können und einen respektvollen Umgang pflegen.» Zu den Kerngeschäften von Nimex zählen Uhren und Schmuck sowie Spielzeug. In den beiden Kerngeschäften ist Nimex insgesamt weltweit mit über 100 Partnern in Kontakt. Die Modeuhren sowie der Schmuck werden an mehreren Orten produziert wie in Thailand, Taiwan oder China. Traditionelle Spielzeuge wie Autos, Puppen und Zubehör, Sammelartikel und Plüsch machen rund 70 Prozent des Spielwaren-Sortiments aus. Hier kommen rund 70 Prozent der Waren aus China. Nimex stellt auch selbst Produkte her bzw. lässt sie produzieren; sei es in Europa wie zum Beispiel in Portugal oder in Fernost. So lanciert das Unternehmen seit Jahren Swiss Made-Uhren mit lokalen Produzenten. Die Swiss Made-Uhren werden dann zu 95 Prozent weltweit verkauft. Die Preise liegen im Bereich von CHF 150 bis 500. Der Inhaber von Nimex erklärt: «Unsere Uhren stehen, wenn Swiss Made, für Schweizer Qualität, doch sind sie trotzdem ‘Massenprodukte’. Sehr viele Menschen in zahlreichen Ländern sind stolz, sie sich leisten zu können.» Zudem besitzt Nimex Lizenzen für Merchandising-Produkte. Eines der prominentesten ist die inzwischen 90-jährige Marke Globi. Globi oder zum Beispiel die Disney-Prinzessinnenpuppe sind Dauerbrenner, die seit Jahren gut verkauft werden. Angesichts des Wechsels in den Märkten, den knappen Rohstoffen und der Energiekrise plant Nimex heute noch vorausschauender. Bestellt wird früher. Die geopolitischen Veränderungen haben bei Nimex zu keinen Umsatzeinbussen geführt. Die höheren Transportkosten vor allem bei den grösseren Produkten wie Trampoline schlagen zu Buche. Beim Schmuck sind die Mehrkosten unerheblich. Bei z.B. 10’000 Plüschtieren in 20 Containern können die Mehrkosten mit minimen bis gar keinen Preiserhöhungen aufgefangen werden.

Sitz in Hongkong, Produktion in China, Europalager in Grossbritannien

Einer der langjährigen Handelspartner von Nimex ist Herald Holdings mit Sitz in Hongkong. Das Unternehmen wurde Mitte der 1950er Jahre durch die Familie des heutigen Verwaltungsratspräsidenten Robert Dorfman und einer zweiten Familie aus Hongkong-China gegründet. Dorfman war am Online-Mediengespräch aus Hongkong zugeschaltet, Er erläuterte das Zusammenspiel der beiden Familien: «Wir bringen westliche Management- und Marketingtechniken mit, und sie ein grosses Wissen über China und die Produktionsbasis.» Für den grössten Kunden, den US-amerikanischen Spielwarenhersteller Hasbro werden Actionfiguren wie Star Wars und Avengers produziert. Während Herald zu Beginn in Hongkong produzierte, wurde in den 1980er Jahren die Herstellung in das kostengünstigere China verlagert, zunächst über Subunternehmen, später in eigene Fabriken. Obwohl China längst nicht mehr das günstigste Land ist, kommt für Herald die Abwanderung nach Indonesien, Indien oder Vietnam nicht in Frage, wie Robert Dorfman erläuterte: «Die Nähe zu Hongkong sowie die kulturelle und sprachliche Nähe machen es möglich, Fabriken in China einigermassen gut zu betreiben. Ein fast unbegrenztes Angebot an Arbeitskräften, leicht verfügbares Land und die vielleicht beste Infrastruktur aller Produktionsländer der Welt verschafft China einen grossen Vorteil. Herald hat die Verlagerung der Produktion geprüft, doch sich für den Verbleib in China und die möglichst grosse Automatisierung des Herstellungsprozesses entschieden.» Der Handel mit europäischen Partnern läuft über eine Tochtergesellschaft in Grossbritannien, die auch ein grosses Lager unterhält. So kann zum Beispiel Nimex AG kurzfristig Waren liefern lassen.

Die Herausforderungen von Herald ähneln jenen der Schweizer Händler: gestörte Lieferketten, steigende Kosten für Rohstoffe und der Mangel an Chips. Entspannung zeigt sich beim Strommangel. Zudem hat Herald das Lager an Rohstoffen und Waren ausgebaut, was dank der gesunden Finanzlage möglich ist, trotz der nun längeren Zahlungsfristen. Der Verwaltungsratspräsident der Herald Holdings stellt fest: «Die Welt ist im Moment einfach ein Chaos; Beziehungen sind überall brüchig. Auch wenn das politische Geschrei zwischen den Ländern immer lauter wird, geht der Handel weiter. Der Handel ist eine Notwendigkeit.» Nachhaltigkeit ist der Unternehmensgruppe wichtig. Man setzt auf recycelbare Rohstoffe, sei es Kunststoff oder Metall. Viel Arbeit wurde in umweltfreundliche Verpackungen investiert. Robert Dorfman betont: «Wir sind ein verantwortungsvoller Hersteller und sorgen für faire Arbeitsbedingungen, was zum Beispiel Belüftung, Unterkünfte und Essen angeht. Wären wir nicht diese Art von Unternehmen, könnten wir einfach nicht mehr im Geschäft sein.»

80 Prozent der Neukunden kennen sich mit Freihandelsabkommen nicht aus

In der Nord-Transport AG aus Arlesheim kümmern  sich 35 Mitarbeitende um Transporte innerhalb von Europa und nach Übersee sowie um Zoll und Logistik. Pro Jahr werden bis zu 25’000 Aufträge abgewickelt. Dabei geht es zum Beispiel um Spielwaren, Sportartikel wie Trampoline oder Tretroller, aber auch um Steine, Marmor für Bankengebäude, Holzplatten für Tische – das ganze Spektrum an Handelswaren. Mit Nimex AG arbeitet Nord-Transport AG seit bald 30 Jahren zusammen. Pascal Felten ist Geschäftsleitungsmitglied von Nord-Transport und erklärt: «Nimex ist für mich ein Beispiel für einen Kunden, der mittel- und langfristig plant und vorausschauend zusammenarbeitet.»

Freihandelsabkommen sind für Handelsunternehmen ein «absoluter Enabler», weiss Pascal Felten aus täglicher Erfahrung. Für Nord-Transport sind sie ein administrativer Vorteil, denn die Zollprozesse werden vereinfacht. Zudem sind sie ein Marketing-Instrument. Pascal Felten: «Anhand der Seco-Statistiken sehen wir, dass immer noch bis zu CHF 400 Mio. für Zölle auf Waren aus Ländern mit Freihandelsabkommen erhoben wurden. Das liegt zum Teil an den komplizierten und ständig wechselnden Bestimmungen. Unsere Fachkräfte sind speziell aus- und weitergebildet. Trotzdem brauchen sie eine gewisse Zeit, um sich in die formalen Anforderungen der Freihandelsabkommen einzuarbeiten. 80 Prozent unserer Neukunden – meistens KMU – kennen sich in den Freihandelsabkommen nicht aus. Hier können wir wertvolle Unterstützung bieten.» Für Nord-Transport bestimmen Probleme auf den Lieferketten den Alltag. Pascal Felten gibt Beispiele: «Die Verzögerungn werden durch Servicestörungen in den Reederei-Liniendiensten ausgelöst. Bis Juni dieses Jahres ist nur eines von zehn Schiffen pünktlich angekommen; die restlichen 90 Prozent hatten mindestens drei Tage Verzögerung. Ein weiteres Problem sind die hohen Seefrachtraten, die sich zeitweise verzehnfacht hatten.» Beim Diesel oder anderen ölbasierten Betriebsmitteln betrifft die Energiekrise Nord-Transport direkt. Wenn immer möglich, setzt die Firma auf erneuerbare Energien sowie langfristige Kooperationen mit Subunternehmen und sucht nicht nur den günstigsten Preis. Pascal Felten: «Wir arbeiten nach Möglichkeit mit Partnern zusammen, die auch alternative Treibstoffe bzw. Elektroantriebe und Wasserstoffantriebe einsetzen. Auf der Seite der Reedereien bevorzugen wir Partner, die ihre Flotte nachhaltig betreiben und zukunftsorientiert planen.»

Weltweiter Handel mit Medizinaltechnik

Jil Bachmann hat in diesem Jahr als beste Lernende bei 7S Medical International eine verkürzte Lehre KV-Branche Handel abgeschlossen. Für die Lehre hat sie sich nach dem Bachelor in Politikwissenschaften und Geographie entschieden, da sie sich nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch mit dem Aussenhandel auseinandersetzen wollte. 7S Medical International ist ein Subunternehmen der Stöckli Group. und ein Medizinaltechnik-Unternehmen, welches sich auf die Orthopädie spezialisiert hat. Weltweit wird mit Implantaten wie Platten, Schrauben, Nägeln und Knochenersatzprodukten gehandelt. Diese werden zusammen mit dem passenden Instrumentenset bei der Versorgung von Frakturen eingesetzt. Ein typisches Produkt ist Herakles – ein Oberschenkelhals-Nagel, der vom Lieferanten ausschließlich für 7S produziert wird. Oberschenkelhalsfrakturen gehören weltweit zu den häufigsten Indikationen. Die von 7S vertriebenen Produkte werden unter anderem in China und Portugal hergestellt. Vom Standort der Hersteller gelangen sie in das zentrale Lager in Belgien. Die Bestellungen bei den Lieferanten und die Auslieferungen an die Kunden werden von der Schweiz aus in Oberkirch koordiniert. Jil Bachmann erklärt, warum das Lager in Belgien angesiedelt ist: «Einer der Gründe ist, dass in Belgien weitaus weniger Medizinprodukte patentiert sind als in anderen Staaten der EU. Von Belgien aus liefern wir unsere Produkte zum Beispiel nach Ungarn, Serbien, Slowenien, Kroatien, Malaysia, Panama oder auch Saudi-Arabien.» In den vergangenen Jahren haben die stockenden oder zusammengebrochenen Lieferketten 7S immer wieder stark beschäftigt. So brachte beispielsweise Stromknappheit in den Produktionsstätten in China ganze Abläufe durcheinander. Kunden hatten für Auslieferungsverzögerungen wenig bis kein Verständnis. Denn die Spitäler hatten Operationen geplant und waren auf die entsprechenden Produkte angewiesen. In den vergangenen Monaten kam es zudem zu Preiserhöhungen, die ab 2023 an die Kundschaft weitergegeben werden. Mit allen Distributoren hat 7S das direkte Gespräch gesucht und eine Vereinbarung treffen können.

Produktion in der Schweiz, Export nach China

Der 18-jährige Thomas Stjelja hat ebenfalls als einer der besten diesjährigen Lernenden die KV Lehre Branche Handel abgeschlossen. Sein Arbeitgeber ist die SFS Group in Heerbrugg, ein weltweit führender Anbieter von Präzisionsformteilen, mechanischen Befestigungssystemen, Qualitätswerkzeugen sowie Logistiksystemen. Die Produkte erfüllen oft unsichtbar erfolgskritische Funktionen in technischen Geräten wie Autos, Smartphones oder Flugzeugen. Während der Lehre gewann der angehende Betriebswirtschaftler auch einen Einblick in den Aussenhandel. So hat er im Export persönlich miterlebt, was unterbrochene Lieferketten im Alltag bedeuten. Er erklärt: «Wir exportieren von unseren Schweizer Produktionsstandorten aus rund 70 Prozent in europäische Länder. Nach China liefern wir zum Beispiel die weltweit kleinsten gewindefurchenden Miniaturschrauben für Hörgeräte mit einem Durchmesser von 0,5 mm. Während der Covid-Pandemie kamen wegen des geschlossenen Hafens in Shanghai und diversen Lockdowns in China unsere Schrauben nicht rechtzeitig an und konnten nicht ausgeliefert werden. Beim chinesischen Produzenten wurde die Produktion stark verzögert, was zu verspäteten Auslieferungen an die Endverbraucher führte. Zeitweise standen die Maschinen still; dies bei mehreren Kunden.»

Quelle: Handel Schweiz

(Visited 428 times, 1 visits today)

Weitere Beiträge zum Thema