Ältere Mitarbeitende und Frauen: Potenzial wird zu wenig genutzt

Eine in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut Sotomo durchgeführte Studie der AXA zeigt: Der Fachkräftemangel in der Schweiz ist nach wie vor akut. 78 Prozent der befragten Unternehmen, die 2021 neue Arbeitskräfte suchten, hatten zumindest teilweise Probleme, diese zu besetzen. Gleichwohl herrscht in vielen Unternehmen eine formelle oder informelle Altersgrenze und auch gezielte Frauenförderung fehlt vielerorts.

Trotz Fachkräftemangel: Ältere Mitarbeitende und Frauen könnten auch in KMU noch häufiger eingestellt werden. (Bild: Depositphotos.com)

Der Fachkräftemangel in der Schweiz ist nach wie vor akut. Dies zeigt eine neue, repräsentative KMU-Arbeitsmarktstudie der AXA Schweiz, die in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut Sotomo durchgeführt wurde. 78 Prozent der befragten Unternehmen, die 2021 neue Arbeitskräfte suchten, hatten gemäss der Studie teilweise Probleme, ihre Stellen zu besetzen. Knapp zwei Drittel davon führen dies auf den Fachkräftemangel zurück. Besonders prekär erscheint die Situation im Bereich Handwerk und Baugewerbe. Dort verzeichneten ganze 80 Prozent der suchenden Unternehmen Mühe, ihre Stellen zu besetzen – im Bereich Produktion und Reparatur waren es 74 Prozent. Und auch in den Bereichen Technik, Informatik, Beratung und Verkauf hatten rund die Hälfte Probleme bei der Stellensuche. Nur gerade im Bereich Administration und Organisation präsentierte sich die Lage entspannt: Hier fehlen nur in 10 Prozent der Fälle geeignete Arbeitskräfte.

Grosskonzerne nehmen KMU die Fachkräfte weg

Auf der einen Seite ist der Arbeitsmarkt nahezu ausgetrocknet. Auf der anderen Seite sieht sich fast ein Drittel der KMU auf dem Arbeitsmarkt aber auch durch Grossunternehmen konkurrenziert: 20 Prozent der Befragten begründeten die Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung mit geringeren Karrieremöglichkeiten im Vergleich zu grösseren Firmen, 17 Prozent schätzen das eigene Unternehmen aufgrund des tieferen Lohnniveaus als weniger kompetitiv ein. «KMU stehen also beim Thema Fachkräftemangel vor der doppelten Herausforderung eines stark angespannten Arbeitsmarkts und der Konkurrenz der mächtigen Grosskonzerne», so Michael Hermann.

Hohe Leistungsbereitschaft der Mitarbeitenden

Auch wenn viele Unternehmen laufend Fachkräfte suchen: Sie sind zumeist mit der Leistungsbereitschaft und Loyalität der bestehenden Mitarbeitenden zufrieden. Es gibt allerdings deutliche Bewertungsunterschiede: Kleine KMU sind meist sehr zufrieden mit den Qualitäten ihrer Mitarbeitenden, während die Einschätzung der grösseren durchzogener ist. So bewerten 51 Prozent der kleinen Firmen mit 2 bis 9 Angestellten ihre Angestellten als sehr leistungsbereit, während es bei den grösseren Firmen mit 50 bis 250 Mitarbeitenden nur 19 Prozent tun. Und auch in Sachen Resilienz gibt es grosse Unterschiede in der Bewertung: 75 Prozent der kleinen KMU schätzen die psychische Robustheit ihrer Mitarbeitenden als eher oder sehr gut ein, jedoch nur 47 Prozent der grossen. Das heisst im Umkehrschluss, dass etwas mehr als die Hälfte der grossen KMU deutliche Defizite bei der Resilienz ihrer Angestellten sehen. «Die Überschaubarkeit des Unternehmens trägt offenbar nicht nur zur gegenseitigen Identifikation und zum gegenseitigen Verständnis von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden bei, sondern unterstützt auch die psychische Robustheit der Mitarbeitenden», zieht Michael Hermann, Geschäftsführer von Sotomo, Bilanz.

Ältere Mitarbeitende: Beliebt – und werden doch nicht eingestellt

Ältere Mitarbeitende werden auffälligerweise generell sehr positiv beurteilt durch die KMU-Verantwortlichen: 67 Prozent schätzen sowohl die Loyalität als auch die Verantwortungsbereitschaft der über 50-Jährigen im Vergleich zur übrigen Belegschaft als besser ein. Das mag auf den ersten Blick nicht erstaunen, da ältere Mitarbeitende meist schon lange im Betrieb arbeiten und die Abläufe kennen, ihnen wird eine entsprechend hohe Identifikation zugebilligt. Besonders bemerkenswert ist jedoch, dass sie von ihren Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern auch als leistungsbereiter (55 %) und resilienter (54 %) als der Rest der Belegschaft eingestuft werden.

In vielen Unternehmen existieren formelle oder informelle Altersobergrenzen für Stellenbesetzungen. (Grafik: AXA Schweiz)

Dieses positive Bild steht in starkem Kontrast zur tiefen Bereitschaft, ältere Mitarbeitende für die offenen Stellen zu berücksichtigen, wie die Studie zeigt: Obwohl insgesamt drei Viertel der KMU 2021 nicht alle Stellen wie gewünscht besetzen konnte, haben die meisten Firmen eine formelle oder informelle Altersgrenze, wenn es um die Einstellung neuer Mitarbeitenden geht: Rund jedes zehnte Unternehmen stellt in der Regel keine Personen an, die 45 Jahre und älter sind, bei 29 Prozent der befragten KMU liegt die Altersgrenze zwischen 45 und 54 Jahren. «Im Hinblick auf den vorherrschenden Fachkräftemangel, aber auch auf die Herausforderungen der Altersvorsorge, besteht hier grosses Potenzial, das nicht genutzt wird», so Unternehmer und Politologe Michael Hermann.

Weibliche Erwerbsbeteiligung wird kaum aktiv gefördert

Nur gerade 5 Prozent der befragten KMU mit einem Geschlechterungleichgewicht in der Belegschaft setzen gezielte Förderprogramme für Frauen ein, lediglich 13 Prozent unterstützen Teilzeitarbeit und Jobsharing, und nur 22 Prozent setzen auf flexible Arbeitszeiten. Während von den grossen KMU immerhin knapp neun von zehn der grossen KMU mindestens eine Massnahme zur Gleichstellung der Geschlechter ergreifen, ist die Förderung der Gleichstellung für jedes zweite KMU mit weniger als zehn Mitarbeitenden überhaupt kein Thema. «Dies zeigt, dass das Potenzial weiblicher Arbeitskräfte durch Schweizer KMU oftmals nicht aktiv erschlossen wird», erklärt Michael Hermann.

Viele KMU schätzen Viertagewoche vorsichtig positiv ein

Gerade die Steigerung der Frauen-Erwerbsbeteiligung wäre also ein Ansatz gegen den akuten Fachkräftemangel. Auch ältere Mitarbeitende einzustellen würde gegen den Fachkräftemangel wirken, so das Fazit der Studie. Als mögliche weitere Massnahme gegen den Fachkräftemangel wird in verschiedenen Ländern vermehrt eine Viertagewoche eingeführt, welche die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern soll. Auch in der Schweiz wird über die Viertagwoche diskutiert. Die AXA KMU-Studie zeigt, dass bemerkenswerte 38 Prozent der Schweizer KMU einer Viertagewoche im Grundsatz positiv gegenüberstehen – bei den grossen KMU sind es sogar 43 Prozent. «Der verbreitete Mangel an Fachkräften könnte hier zu einem Abbau mentaler Barrieren beigetragen haben und die Offenheit für neue Ansätze auch im KMU-Bereich fördern», so Michael Hermann.

Psychische Erkrankungen besonders für grosse KMU eine Herausforderung

Neben der Rekrutierung neuer Mitarbeitenden stellt auch das Wohlbefinden der eigenen Belegschaft eine Herausforderung für Schweizer KMU dar: 76 Prozent der Befragten gaben an, dass in Bezug auf die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden besondere Herausforderungen für das eigene Unternehmen bestehen – bei den grossen KMU sind es gar 97 Prozent. Am häufigsten kämpfen die KMU mit physisch bedingten Ausfällen ihrer Mitarbeitenden, 38 Prozent der kleineren und mittleren sowie 45 Prozent der grossen KMU sehen hier eine besondere Herausforderung.

Von Ausfällen aufgrund psychischer Erkrankungen sind hingegen vor allem grosse KMU betroffen. Während nur 11 Prozent der kleinen KMU psychisch bedingte Ausfälle als grosse Herausforderung sehen, sind es 42 Prozent der grossen KMU. Psychische Erkrankungen stellen damit bei den grossen KMU ein ebenso grosses Problem dar wie körperliche. Grosse KMU sind nicht nur besonders häufig von psychischen bedingten Ausfällen betroffen, sie nehmen auch die Entwicklung negativer war. 38 Prozent aller KMU ab 50 Mitarbeitenden verzeichnen insgesamt eine Zunahme solcher Vorfälle in den letzten fünf Jahren.

Quelle und weitere Informationen: AXA Schweiz

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