Insektensterben – katastrophales Ausmass nun wissenschaftlich fundiert
Auch hierzulande sorgen sich Institutionen ums voranschreitende Insektensterben. Das Papiliorama in Kerzers etwa hat immer wieder darauf hingewiesen: die Insektenpopulationen sind in den letzten drei Jahrzehnten regelrecht zusammengebrochen.
Das Insektensterben ist Fakt. Sicher kursieren Exemplare der häufigsten Arten, doch andere Arten verschwinden unbemerkt. Keine um Lampen kreisende Nachtfalter mehr, keine Tagfalter mehr über den Wiesen. Eine Studie über die fliegenden Insekten von 63 Naturschutzgebieten in Deutschland hat gezeigt, dass die Gesamtmasse seit 1989 um 76 Prozent abgenommen hat.
Mit den Insekten verschwinden – wegen fehlender Nahrung- auch die Vogelpopulationen und die Amphibien. Das Papilorama betont: Es ist höchste Zeit für die Schweiz, einen Paradigmenwechsel zu vollziehen – den Gebrauch von Pestiziden zu stoppen. Caspar Bijleveld, Direktor des Papiliorama, ist sehr beunruhigt über diesen Rückgang der Insektenbiomasse, welchen er seit zwei Jahrzehnten anprangert.
Wird die heutige Entwicklung nicht eingedämmt, werden wir in den nächsten Jahrzehnten noch einmal 75 Prozent der verbliebenen 25 Prozent verlieren. Ein Phänomen, welches sich sogar noch beschleunigen könnte, da durch die immer geringere Populationsdichte die Fortpflanzungsfähigkeit der Insekten zusätzlich vermindert werden könnte.
Wissenschaftlich fundierter Beweis
Die Wissenschaftler des entomologischen Vereins von Krefeld in Deutschland (Datensammlungen) und diejenigen der Universität Radboud in Nijmegen (statistische Analysen) haben in Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern der „Task Force Systemische Pestizide“, insbesondere mit Prof. Dave Goulson in England, diese über fast dreissig Jahre gesammelten Daten, auswerten können.
Sind die Folgen der Abnahme in sich noch nicht bewiesen, so ist doch klar, dass weder Veränderungen der Lebensräume (die Naturschutzgebiete werden sehr sorgfältig geführt), noch klimatische Veränderungen verantwortlich sind. Die Korrelation zwischen dem Markteintritt der Neonikotinoide anfangs der neunziger Jahre (neurotoxisch, vielfach präventiv verwendet, machen die Pflanzen toxisch für Insekten).
Die gemessene Abnahme der Insektenbiomasse kann ganz klar kein Zufall sein. Die Neonikotinoide sind heute die meistbenutzten Insektizide der Welt.
Konsequenzen nicht abzuschätzen
Die Publikation der Studie im Magazin „Plos One“ hatte den Effekt einer Bombe: Die Insekten stellen die Verbindung zwischen dem Boden, den Pflanzen und den Tieren dar. Sie spielen eine fundamentale ökologische Rolle auf allen denkbaren Stufen: Transformation von lebender Materie, Nahrungsgrundlage für alle Insektenfresser, unersetzbare Bestäuber für Pflanzen (auch in der Landwirtschaft).
Der Zusammenbruch der Insektenpopulationen wird Konsequenzen haben, welche heute noch nicht absehbar sind.
Schweizer Task Force
2008 hat Maarten Bijleveld, Gründer des Papiliorama in Kerzers, zusammen mit dem berühmten Ökotoxikologen François Ramade und dem ehemaligen Direktor des naturhistorischen Museums in Lausanne, Pierre Goeldlin, die „Task Force Systemische Pestizide (TFSP)“ unter der Ägide der „International Union for Conservation of Nature (IUCN)“ gegründet.
Dieses rein wissenschaftliche Panel vereinigt heute weltweit verschiedene Forscher aus 21 Nationen und vier Kontinenten. Die TFSP hat 2015 weltweit die erste Meta-Analyse über systemische Pestizide (zu welchen die Neonikotinoide gehören) und deren Auswirkungen auf die Fauna veröffentlicht. Diese beinhaltet auch verschiedene Studien, welche eindeutig den negativen Einfluss der Insektizide auf die Bienen nachweist.
Diese weltweite integrierte Umweltbewertung (Worldwide Integrated Assessment, WIA) über die Auswirkungen der systemischen Pestizide auf die Biodiversität und die Ökosysteme ist eine Synthese von 1’121 Studien, welche in den Jahren 2010 – 2015 in Fachzeitschriften veröffentlicht wurden; inklusive der Studien, welche durch die Agrochemie finanziert wurden.
Es handelt sich um die bisher kompletteste Studie über Neonikotinoide, allerdings auch um die einzige umfassende Arbeit zu diesem Thema. Kürzlich wurde sie aktualisiert und sie wird bald publiziert. Beide Versionen sind frei und öffentlich verfügbar. Kürzlich hat auch die Studie von Prof. Edward Mitchell der Universität Neuchâtel über den Nachweis von Neonikotinoiden in praktisch allen Honigen der Welt grossen Lärm verursacht.
No point of return
Der Verlust der Insekten ist ein „point of no return“, welchen man sich besser nicht vorstellt. Deshalb engagiert sich Caspar Bijleveld mit der Stiftung Papiliorama für das Zusammentragen von Unterschriften für die Initiative „Für eine Schweiz frei von synthetischen Pestiziden“. Nicht alleine aus Liebe zu den Insekten, sondern vor allem aus Verantwortungsgefühl gegenüber den kommenden Generationen.
Initiative Future 3.0:
https://manifest-future3.ch & http://www.future3.ch/
Text-Referenzen:
World Integrated Assessment der TFSP