Studie zeigt Widersprüche im Schweizer Arbeitsmarkt
Das Outplacement-Unternehmen von Rundstedt hat mit HR Today zusammen in der diesjährigen Arbeitsmarktstudie acht kontroverse Arbeitsmarktthemen unter die Lupe genommen. Die Studie stützt sich auf eine ausführliche Umfrage, an der 1907 HR-Manager und Führungskräfte in der ganzen Schweiz teilgenommen haben. Die Ergebnisse liegen differenziert nach Branchen, Regionen und Unternehmensgrössen vor.
Die offizielle Arbeitslosenquote des SECO liegt nach wie vor auf tiefem Niveau zwischen 1.8% und 2.2%. Und auch die Arbeitsmangelquote (inkl. Ausgesteuerten und Unterbeschäftigten) liegt mit knapp unter 10% auf einem Rekordtief. Das heisst: Es sieht auf dem Papier und von den Zahlen her gut aus für Arbeitnehmende. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber tun sich allerdings schwer,
geeignete Fachkräfte zu finden. Was ist da also los? Denn eigentlich müsste man ja davon ausgehen, dass ein liberaler Markt solche Ungleichgewichte selbst reguliert. Indes: «Es gibt Phänomene auf dem Schweizer Arbeitsmarkt, die offensichtlich widersprüchlich und nicht einfach zu verstehen sind», meint von Rundstedt CEO Pascal Scheiwiller, Mitverfasser der Studie, die genau diese Widersprüche untersucht hat.
Die acht Phänomene, die im Mittelpunkt der Studie standen:
1) Polarisierung zwischen Gewinnern und Verlierern: Die einen sind gefragt, die andern werden abgewiesen. Die Parallelität von Fachkräftemangel und struktureller Arbeitslosigkeit spitzt sich zu. (Zustimmung in der Umfrage 63%)
2) Keine Lust auf Arbeit und trotzdem Burn-out: Mehr Menschen arbeiten weniger, und wenige Menschen arbeiten mehr. Der Selbstverwirklichung der einen findet somit auf Kosten der anderen statt. (Zustimmung in der Umfrage 67%)
3) Wachstumsspirale ohne Ende: Wachstum provoziert Fachkräftemangel und weitere Arbeitsimmigration, welche das quantitative Wachstum weiter antreibt. Diese Spirale bringt uns qualitativ nicht weiter. (Zustimmung in der Umfrage 67%)
4) Produktivitätsdilemma des Fachkräftemangels: Mehr Ansprüche der Arbeitnehmer, aber weniger Leistungsbereitschaft. So geht die Arbeitsproduktivität in der Schweiz flöten. (Zustimmung in der Umfrage 61%)
5) Branchenkult: Die digitale Transformation erfordert eigentlich ein hohes Mass an Flexibilität und Mobilität zwischen Berufsprofilen und Branchen. Quereinsteiger haben es aber nach wie vor schwer. Arbeitgeber zeigen einen starken Branchenglaube. (Zustimmung in der Umfrage 70%)
6) Purpose und Individualität: Alle suchen Purpose. Es geht den meisten Menschen dabei aber nicht um Nachhaltigkeit, sondern um Selbstzweck und Selbstverwirklichung. (Zustimmung in der Umfrage 73%)
7) Möchtegern-Unternehmer: Unsere Hypothese war, dass viele Jungunternehmer heute keine langfristige Strategie verfolgen und es ihnen primär nicht um den gesellschaftlichen Beitrag, sondern um Selbstverwirklichung und finanzielle Interessen geht. Da sind wir offensichtlich falsch gelegen. (Zustimmung in der Umfrage 46%)
8) Altersdilemma: Die Alten sollen über das Pensionsalter hinaus arbeiten, um den demografischen Engpass und den Fachkräftemangel zu lindern. Nur will sie keiner einstellen. (Zustimmung in der Umfrage 71%)
Mit Ausnahme der Möchtegern-Unternehmer sind alle anderen Phänomene von einer klaren Mehrheit bestätigt worden. Bei der Frage nach dem Handlungsbedarf sehen die HR-Manager und Führungskräfte beim Arbeitsdilemma, bei der Polarisierung und bei Arbeitslust und Burn-out die höchste Dringlichkeit.
Die Umfrage hat ein paar weitere überraschende Erkenntnisse hervorgebracht:
Risikogruppen und Schwächere werden von Arbeitgebern kaum gefördert
82% der Firmen verfügen über keinerlei Rekrutierungs- oder Integrationsprogramme für Risikogruppen wie z.B. Ältere Arbeitskräfte 60+, IV-Teilbezüger oder Frauen nach längerer Mutterschaft. Auch in der Personalentwicklung legt man den Fokus auf die Leistungs- und Potenzialträger. Pascal Scheiwiller: «Firmen investieren lieber in die Leistungs- und Hoffnungsträger.»
Das Gesundheitswesen und die öffentliche Verwaltung als Teilzeit-Champions
Bei der Teilzeitarbeit gibt es grosse Unterschiede zwischen den Branchen. Am meisten Teilzeitbeschäftigungen finden sich im Gesundheitswesen (38.7% Teilzeitarbeiter) und in der öffentlichen Verwaltung (38.4%). Das Schlusslicht ist die industrielle Produktion mit nur 12.9% Teilzeitarbeitern. Pascal Scheiwiller: «Die öffentliche Hand ist definitiv bei den attraktiven Arbeitgebern angekommen.»
Stressbelastung und Druck als «Courant Normal»
Trotz Teilzeittrend wächst die Stressbelastung an. Im Durchschnitt sind 28% der Mitarbeiter dauerhaft überbelastet. Bei 34% der Firmen befinden sich über einen Drittel der Mitarbeiter im «roten Bereich» und unter Stress. Aber nur 37% der Arbeitgeber kümmern sich gezielt darum. Pascal Scheiwiller: «Die Firmen wissen über die zunehmende Stresssituation, machen aber nichts dagegen.»
Quantitatives Wachstum macht uns nicht besser und glücklicher
Für 67% der Befragten wirkt sich quantitatives Wachstum wie Mitarbeiter-, Absatz- und Gewinnwachstum nicht positiv auf die Arbeitsumstände und die Zufriedenheit der Mitarbeiter aus. Pascal Scheiwiller: «Es gibt vermehrt Firmen, nämlich 37%, die sich bewusst für eine Strategie des qualitativen Wachstums entscheiden.»
Branchenkult in der Schweiz – eines Innovationsstandorts unwürdig
Eine Mehrheit glaubt, dass brancheninterne Bewerber kurzfristig (74%) und sogar langfristig (61%) mehr Wert für das Unternehmen generieren als Quereinsteiger. 67% der Arbeitgeber verlangen bei der Rekrutierung zwingend Branchenerfahrung (als Musskriterium). Nur 32% der Firmen verfügen über gezielte Massnahmen zur Rekrutierung und Branchenausbildung von Quereinsteigern. Pascal Scheiwiller: «Trotz Fachkräftemangel und Mobilitätsbedürfnis haben es Quereinsteiger in der Schweiz schwer.»
Länger arbeiten findet wenig Anklang
Trotz Forderungen von Wissenschaft, Politik und Arbeitgebervertreter finden nur 44% der Befragten gut und richtig, dass über das Pensionsalter hinaus gearbeitet werden soll. Nur 25% der Firmen bieten dazu konkrete Programme an. Pascal Scheiwiller: «Länger arbeitet im Grundsatz nur, wer aus finanziellen Gründen muss. Die gesellschaftliche Notwendigkeit ist für den Einzelnen nicht relevant.»
Altersnachteile auf dem Arbeitsmarkt sind Realität
Eine Mehrheit von 56% sieht die Schwierigkeiten bereits ab 50 Jahren, weitere 27% erst ab 60 Jahren. Das zeigt klar auf, dass Arbeitgeber trotz dem Druck auf dem Arbeitsmarkt sich schwer tun damit, auf ältere Arbeitskräfte zu setzen. Pascal Scheiwiller: «Alle reden vom länger arbeiten, aber als Ü55 haben es in der Realität viele schwer, eine neue Stelle zu finden. Das ist für Betroffene schwer zu ertragen.»
Quelle: www.rundstedt.ch